Der fehlerhafte Arm

Das was ich in diesem Artikel erzählen will ist sehr persönlich und wohl das für mich bedeutungsvollste Ereignis im letzten Jahr gewesen. Auf den ersten Blick hat es eigentlich nichts mit Fotografie zu tun und auf den zweiten dann doch und irgendwie mehr als gedacht.

Eigentlich sollte mein nächster Artikel ein Jahresrückblick werden und schon längst fertig sein. An dem arbeite ich nun schon eine weile, immer mal wieder, und habe mir damit glaube ich eine Mammut Aufgabe aufgehalst. Zumindest tue ich mir gerade etwas schwer damit. Genug Zeit und Muse hatte ich dafür bisher leider auch nicht, war doch schon im Januar wieder einiges los und wir haben immer noch mit dem Einrichten und Ausräumen von Kisten in der neuen Wohnung zu tun. (Meistens bleibt dafür auch nur am Wochenende Zeit und Energie). Ich bin auch noch nicht sicher ob ich nun überhaupt einen Artikel in der typischen Rückblick Form veröffentlichen möchte. Vielleicht werden es auch eher einzelne Artikel zu bestimmten Erlebnissen. So wie ich es nun mit diesem gemacht habe. Passiert ist jedenfalls eine ganze Menge in 2019. Daher fällt es mir vermutlich aktuell auch schwer, das alles zu sortieren. Auch wenn wir nun schon mittendrin sind im Jahre 2020, ist es mir dennoch sehr wichtig auch jetzt noch auf Geschehenes zurück zu Blicken und dies zu reflektieren. Mir hilft es auf jeden Fall darüber zu schreiben und in diesem Fall auch um es besser verarbeiten zu können. Dieser Artikel schlummert nun auch schon seit ein paar Wochen in dieser Form als Entwurf auf der Festplatte. Vielleicht habe ich einen richtigen Zeitpunkt abwarten wollen. Doch den gibt es eigentlich nicht. Daher ist er nun endlich Online.

Nun aber zum eigentlichen Thema:

März 2019

Als Fotograf möchte ich Stimmungen und Emotionen einfangen und drücke auch mein eigenes Befinden damit aus. Dabei ist es auch entscheidend wie es mir geht und in welcher Stimmung ich bin. Das was mit mir im März letzen Jahres passiert ist, hat einiges mit mir gemacht und ich denke auch so etwas sollte in diesem Blog stehen. Es gehört zu mir, ist ein Teil von mir und beeinflusst auch meine Fotografie. Dass ich überhaupt so offen darüber schreibe, habe ich unter anderem Falk Frassa zu verdanken, der in seinem Podcast „Fotografie tut gut“ sehr offen und persönlich über eine Krebserkrankung und einen Burnout/Depression und seine Gefühlswelt spricht und wie ihm die Fotografie immer wieder in schwierigen Zeiten geholfen hat. So hat er mich ermutigt auch über ein schwieriges Thema zu schreiben. Dass Fotografie gut tut, ist für mich unbestritten und dieser Artikel unterstreicht das auch deutlich wie ich finde. Auch andere haben mich indirekt dazu motiviert. So zum Beispiel Ivan Slunjski, der ebenfalls von seinem Burnout/Depression spricht und darüber geschrieben hat. (Alle Links sind auch nochmal am Ende des Artikels vermerkt). Bei mir geht es zwar nicht um ein psychisches Leiden, aber da Körper und Geist zusammen hängen, hat das ganze bei mir auch psychische Spuren hinterlassen. Vielleicht hilft der Artikel ja auch dem einen oder anderen dabei, sich eventuell anders mit einem schwierigen Thema zu befassen und entweder auch darüber zu Schreiben oder es fotografisch aufzuarbeiten.

Der fehlerhafte Arm.

Das Unbekannte

Ich spürte schon seit einigen Wochen, dass da etwas nicht in Ordnung war. Im linken Oberarm, an der Achselhöhle angrenzend, fühlte ich immer wieder eine kleine Erhebung, wie eine kleine Kugel die stätig zu wachsen schien. Etwas was da nicht hingehörte. Ein Fremdkörper. Als ich dann auch noch ein unangenehmes kribbeln über den gesamten Arm bis in die Fingerspitzen verspürte, bin ich damit natürlich sofort zum Arzt gerannt. Die Diagnose: Möglicherweise ein Tumor. Das war natürlich erstmal ein Schock. Um genaueres herauszufinden stand ein MRT an. Bis zum Termin in der Röhre konnte erstmal keiner genau sagen was da in mir wächst und schon gar nicht ob gut – oder bösartig. Zum Glück aber bekam ich den MRT Termin relativ schnell. Nachdem mir reichlich Kontrast Mittel in die Adern gespritzt wurde, leuchtete der Tumor regelrecht auf. Die Diagnose wurde dann schon mal etwas genauer und später sollte sich die Vermutung des Radiologen auch als richtig erweisen. Ein sogenannter „Nervenscheidentumor“ hatte sich um meinen Nerv gebildet und wucherte dort vor sich hin. Gewebe der Markscheide, also der Schutzhülle rund um den Nerv, war entartet und gewuchert. Auch schon Invasiv, also nicht nur außen herum, sondern auch in den Nerv gewachsen. Wahrscheinlich gutartig. Ganz klar war nur eines, das Ding musste raus! Festlegen konnte und wollte sich natürlich weiterhin keiner der Ärzte. Genau wusste man es erst, wenn man es operiert hatte und es im Labor untersucht wurde.

Das Unbekannte

Die Operation

Ende März kam ich dann also unters Messer. Die Operation lief nicht ganz unkompliziert ab und dauerte über drei Stunden. Man erklärte mir vorher, dass das wuchernde Gewebe um den Nerv herum vorsichtig entfernt werden müsse und der Nerv leicht aufgespaltet werden muss um die Fasern, die in den Nerv gewachsen waren und dort nicht hingehörten, auch dort heraus zu bekommen. Dazu muss jeder kleine Nervenstrang mit elektronischen Impulsen mit einem bestimmten Gerät angesprochen werden, um zu unterscheiden was Tumor ist und was Nerv, da man dies kaum optisch unterscheiden kann. Im schlimmsten Fall, wenn also die Tumor Fasern nicht mehr aus dem Nerv zu trennen wären, müsse man das betroffene Stück Nerv heraus schneiden. Dann würde man an ein Stück Nerv aus einer anderen Stelle am Körper entfernen um das fehlende  Stück im Arm zu ersetzen. Wäre das passiert, hätte ich mit Lähmungen und starken Missempfindungen zu tun gehabt und das für lange Zeit, vielleicht sogar für immer. So ein Nerv braucht verdammt Lange um sich zu erholen oder zu wachsen. Doch zum Glück war das nicht der Fall. Trotzdem spüre ich bis heute noch ein leichtes Kribbeln im linken Zeigefinger und rund um die ca. 10cm große Narbe herum. Das wird auch noch eine weile so bleiben. Nach ungefähr vier Stunden kam ich wieder zu mir und befand mich bereits in meinem Zimmer. Meine Freundin erwartete mich schon und meine Zimmer Nachbarn stellten freudig fest, dass ich wieder unter den lebenden sei. Noch etwas benommen von der Narkose fühlte ich mich ziemlich gut. Die Schmerzen sollten erst später kommen. Aber mit Schmerzmitteln und drei Nächten auf Station war alles relativ erträglich und letztendlich gut gelaufen.

Der Schnitt
Der Tumor und der Chirurg, der sich ein Bild macht.

Fleisch und Blut

Am nächsten Tag bot mir der Stationsarzt an, dass ich mir ein Foto der offenen Wunde, welches während der OP gemacht wurde, mal ansehen könne. Es sei eine außergewöhnliche OP gewesen und mein Fall dient nun wohl auch für diverse Fallvorstellungen. Ich muss auch noch fairer Weise erwähnen, dass ich vorgewarnt wurde. Und das zurecht, aber ich wollte es unbedingt sehen. Das Foto war wirklich nicht leicht zu ertragen. Vorwarnung! Ich sah darauf wie mein Nerv und die darunter liegende Ader komplett frei lagen und das Fleisch drumherum weit aufgespalten war. Mir wurde dann doch etwas anders und ich war zum Glück gerade nicht allein. Ich habe einen Abzug von dem Foto bekommen. Ich kann es selbst heute kaum ansehen und mir wird anders wenn ich nur daran denke. Ich bin aber froh, dass ich es gesehen habe. Denn mir wurde im nachhineinen nochmal richtig klar, wie gefährlich diese OP doch war. Man stelle sich vor die Ader würde durch einen kleinen Schnitt versehentlich erwischt werden, übrigens auch eines der vielen Risiken, über die ich aufgeklärt wurden bin. Ich hatte verdammt viel Glück und einen wirklich guten Chirurgen. Nur ca. eine Woche nach der OP kam dann auch das erleichternde Laborergebnis. Gutartig! Danach war ich fast 6 Wochen krank geschrieben und hatte noch so einige Schmerzen und Probleme. Doch es wurde letztendlich bald besser und ich bin inzwischen ganz gut genesen. Die ersten Nachkontrollen waren soweit gut und demnächst muss ich nochmal zum Neurologen und in den Ultraschall. Ich bin zuversichtlich.

Fleisch und Blut

„Ich weiß auch nicht genau wieso ich damals meine Kamera mit eingepackt hatte. Eigentlich hat man im Krankenhaus durchaus andere Sorgen…“

Um nun die Kurve wieder zur Fotografie zu bekommen, möchte ich dir ein bestimmtes Foto zeigen, was in diesem Zusammenhang für mich sehr wichtig geworden ist. Keine Angst, sicher nicht das Foto von der OP 😉  Aber eines was ich am selben Tag vorher gemacht habe, während ich über vier Stunden auf ein Bett warten musste. Ich wurde bereits um 6 Uhr morgens in die Klinik zitiert (Die OP war erst gegen Mittag angesetzt). Ich weiß auch nicht genau wieso ich damals meine Kamera mit eingepackt hatte. Eigentlich hat man im Krankenhaus durchaus andere Sorgen, aber ich habe sie wirklich dabei gehabt. So wie ich jeden Tag eine Kamera dabei habe. Verrückt? Sag du es mir. Gelohnt hat es sich!

Jedenfalls durfte ich in der Zwischenzeit nochmal für ca. 1 1/2 Stunden nach draußen gehen. Ich nutzte die Zeit natürlich zum fotografieren. Die Sonne schien und es war angenehm warm. Ich konnte mich dabei tatsächlich so richtig gut herunterfahren, nachdenken und entspannen. Ich war nach dem kleinen Foto Spaziergang wirklich gut gelaunt und bin mit sehr positiver Einstellung in diese OP gegangen. Das dabei entstandene Foto bedeutet mir persönlich sehr viel und steht für mich vor allem für Hoffnung. Es hängt bei mir zu Hause als feiner Alu-Dibond Druck an der Wand und ich glaube es spricht für sich:

HOFFNUNG (20.03.2019)

Ich denke noch heute oft daran zurück und die Narbe wird mich wahrscheinlich noch mein ganzes Leben lang begleiten und daran erinnern. Ich habe großes Glück gehabt und ich weiß, anderen geht es viel schlechter und haben noch schlimmere Situationen erlebt oder bösartige Tumore in sich. Ich kann mich nun viel besser in die Lage betroffener mit einer solchen Diagnose hinein versetzen und weiß zumindest im Ansatz welche Gedanken einem da so in den Sinn kommen und, dass Warten auf Antworten oder Ergebnisse oder Gewissheit sehr unangenehm sein kann. Zum Glück musste ich nicht all zulange warten und hatte bereits gute Prognosen. Dennoch war es eine große Erleichterung als alles überstanden war und die Gewissheit da war. Ich glaube auch, dass dieser Einschnitt im meinem Leben durchaus auch die Fotografie mit beeinflusst. Ich hatte immer schon einen Hang zum melancholischen in manchen meiner Fotos und sehe das auch nicht als negativ an. Doch ich habe das Gefühl oder Bedürfnis seither mehr Fotos in dieser Richtung gemacht zu haben oder machen zu wollen. Wie gesagt, die Stimmung beeinflusst jedes Foto ob bewusst oder unbewusst.

Zuversicht

Die Fotos die ich zwischendurch in den Text eingestreut habe, sind alle nach der OP im laufe des Jahres entstanden (bis auf „Hoffnung“) und ich kann diese durchaus gut mit dem Tumor und der OP assozieren. Auch wenn ich beim Fotografieren nicht unbedingt daran gedacht habe. Vielleicht unterbewusst, aber auf jeden Fall im nachhinein. Letztendlich sind die meisten Street Fotos und zufällig entstanden. Es sind keine gestellten Szenen. So auch das Bild vom Tag der OP.
Poesie des Zufalls, garniert mit dem Gedanken und den Emotionen des Fotografen.

Teile mir deine Gedanken oder eigene Erfahrungen dazu gerne in den Kommentaren mit.

Links:

Ivan Slunjski:
Artikel: „How filmphotography saved my life“
Podcast bei Gate Sieben: Analoge Fotografie und ihr Reiz in digitalen Zeiten
Blog: https://blognotiz.de/

Falk Frassa:
Podcast und Blog: Fotografie tut gut!

9 Gedanken zu „Der fehlerhafte Arm

  1. Deine Geschichte geht nah und ich finde gut, dass du dich dabei an der „Fotografie“ festgehalten hast. Es gibt dir Ablenkung, aber auch eine Art Therapie (im Kopf)
    Zurecht kam man sagen : „Fotografie tut gut!“

  2. Glückwunsch Stefan! Guter Artikel! Ja, das Unterbewusste zeigt uns gerne über Bilder was Thema ist,l. Schön und hilfreich ist, wenn man sie dann zu nutzen weiß. Bilder als Sprache der Seele.

  3. Hallo Stefan, ich kann es gut verstehen und finde es ist auch sehr gut das du es aufgeschrieben hast. Ich habe etwas anderes erlebt, ich hatte fast ein Jahr einen ungeklärten Schwindel, konnte noch nicht mal bis zur Mülltonne gehen und es wurde nicht besser. Nach drei bis vier Monaten ging es wieder etwas Bergauf aber noch nicht so richtig, zum guten Schluss ist noch die Angst vor der Angst dazu gekommen. Da ich vor dem Schwindel ein Street Project startete, wollte ich mich aber nicht unterkriegen lassen und machte weiter mit dem Project 365 Tage durch die Straßen. Wenn du lässt hast kannst du es dir gern anschauen, ich habe es in einem Buch festgehalten.
    http://Street1965.de
    Liebe Grüße Stefan

    1. Hallo Stefan! 🙂 Wir hatten ja bereits über Social Media geschrieben. Dennoch wollte ich mich auch nochmal hier für dein tolles Feedback und das Teilen deiner Story bedanken. Es ist leider etwas untergegangen auf dem Blog. Sorry dafür! Dein 365 Projekt ist beeindruckend und verdient großen Respekt, genauso wie dein Einsatz für Obdachlose.
      LG Stefan

  4. Lieber Stefan, gerade habe ich Deinen Artikel gelesen und er hat mich so sehr berührt, dass mir die Tränen gekommen sind. Du hast diese schwere Zeit in tolle Worte gefasst und Deine Fotos zeigen in der Tat diesen Weg, den Du gegangen bist. Ich kann nachvollziehen, dass es Dich auf die Idee gebracht hat, Gefühle durch Bilder auszudrücken. Ein sehr schöner Gedanke, der einem bestimmt dabei helfen kann, seine Gefühle zu verarbeiten. Alles Gute! Daniela

    1. Hallo Daniela,

      sorry für die sehr arg verspätete Antwort hier. Leider ging das bei mir etwas unter. Ich danke dir für dein sehr herzliches Feedback. Ich freue mich, wenn wenn es dich rührt, auch wenn ich dich natürlich nicht zum weinen bringen will 😉 Also nochmal, vielen Dank. LG Stefan 🙂

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